Bericht aus Griechenland

von 30.09.2020

Vom 12.-19. August waren Minka Straube und ich, Martin Straube, in Griechenland. Eigentlich sollte alles anders sein.

Jeanne Meuwissen, eine Teilnehmerin des ersten Jahrgangs unserer Weiterbildung im IINTP hat sich in Griechenland in Flüchtlingscamps engagiert und wendet dort an, was in der Weiterbildung Inhalt war. Seit einiger Zeit ist sie im Lager Malakasa (ca. 40km nördlich von Athen) tätig. So hat sie neben ihrer regelmäßigen Arbeit dort, bereits im letzten Sommer mit Freunden für die Kinder in der Ferienzeit ein Sommercamp durchgeführt, um mit ihnen in der

schulfreien Zeit sinnvoll nach traumapädagogischen Gesichtspunkten zu arbeiten. In diesem Jahr wollten wir mit einer fünfköpfigen Gruppe von den Freunden der Erziehungskunst sie bei einem erneuten Sommercamp unterstützen. Eine Teilnehmerin des derzeitigen Kurses hätte das mit ihrem Projekt verbunden, das sie zur Zertifizierung der Weiterbildung machen muss – sie hätte mit den Kindern die Übungen der ursprünglichen griechischen Olympiade als Grundlage der Bewegungseinheiten verwendet und hat dies bereits sehr umfassend vorbereitet.

 

Nun hat aber die griechische Regierung für nicht in Griechenland registrierte NGO´s den Zugang z den Camps coronabedingt verweigert (sicherlich waren auch andere Gründe dabei ausschlaggebend). So fuhren wir zu zweit für eine Woche dort hin, denn eine dort tätige NGO, „Happy Caravan“, die von Alaeddin Janid gegründet wurde (ein wunderbares Video findet Ihr hier!) und eine großartige Arbeit mit den Kindern leistet, wollte ein Seminar über Traumapädagogik, das wir zusammen mit Jeanne durchführten.

Es waren Tage mit vielen Gesprächen, mit theoretischem Input und praktischen Übungen.

Wir waren sehr bewegt von dem, was Jeanne an Methoden verfügbar hatte, wir sahen den Traumabezug in dem was sie tut, wir spürten, welches innere Geschick sie im Umgang mit Kindern hat und die Fröhlichkeit, die sie in alles hineingibt.

 

Die jungen Frauen von Happy Caravan hatten viele Fragen. Vieles bezog sich auf konkrete pädagogisch schwierige Situationen, auf Emotionsregulation und den Umgang mit traumatypischen Verhaltensmustern. Natürlich wurde uns klar, dass das nicht alles in wenigen Tagen geleistet werden kann, denn hinter den konkreten Fragen zu speziellen Situationen stehen größere Fragen, die pädagogische und traumapädagogische Kernkompetenzen betreffen – und die lassen sich nicht durch kurze Antworten entwickeln.

An all dem wurde uns der Unterschied zwischen Notfallpädagogik und Traumapädagogik nochmals drastisch klar. Die vielen Spiele, Übungen und Inhalte, die wir bewegt haben, sind gut für eine gute Notfallpädagogik. Mit dem Wissen um ein Trauma können wir Methoden finden, die hier helfen, die eine Situation entspannen, die Freude schaffen, in Bewegung bringen und so die Grunderstarrung des Traumas lösen helfen. Traumapädagogik ist mehr.

Traumapädagogik ist langfristige Arbeit. Traumapädagogik ist konzeptionelle Arbeit mit längerfristigen Zielen und darauf aufbauenden Einsatz von Methoden. Traumapädagogik braucht viel Akzeptanz, Geduld, Partizipation, Transparenz, Assistenz im Sinne davon, dass Selbstwirksamkeit stattfinden kann, tiefe, vertrauensvolle und warmherzige Beziehungen, Emotionsregulation, Psychoedukation und Einfühlungsvermögen. Es sind Grundkompetenzen, Grundmuster der Persönlichkeit, die pädagogische Fähigkeiten nicht als Wissen im Kopf, sondern als verfügbares inneres Organ beinhalten.

Wir haben wahrnehmen können, wie großartig Happy Caravan arbeitet, wie die Mitarbeiterinnen den Kontakt zu den Kindern halten, auch wenn der Zugang zum Camp nicht möglich ist, erreichbar bleiben und die Bindungen pflegen. Ihnen fehlte aber noch der Traumabezug. Und die Fragen, die sie stellten, machten deutlich, dass die Quelle, aus der Antworten kommen können, das pädagogische bzw. traumapädagogische Kerntalent nicht immer Schritt hält mit der großen Empathie, dem guten Willen und dem Herzen auf dem rechten Fleck.

Wir sehen drei Arten, mit Kindern, die ein Trauma erlebt haben, umzugehen:

 

  • Man baut eine warmherzige Beziehung auf, schafft Zuwendung, Freude, Spiel, fördert den Gruppenzusammenhalt und bringt in Bewegung. Das hilft, es ist gut und vor allem, es ist wesentlich besser, als nichts z tun. Es genügt fast, das Herz am rechten Fleck zu haben.
  • Man tut das, was im vorherigen Punkt gesagt wurde, schafft aber den Bezug zum Trauma. Eine „Traumasensibilität“ würde bewirken, dass man z.B. Spiele spielt, in denen Kinder verlieren können, arbeitet mit dem Konzept des guten Grundes, also diskriminiert die Symptomatik der Kinder nicht, ist achtsam mit Nähe und Distanz und fokussiert sich auf eine Stabilisierung in einer instabilen Situation, für Schutz für schutzlose Seelen, schafft mit längerfristiger Emotionsregulation die unruhige Seele sich wieder in die eigenen Dienste zu stellen und durch Förderung wieder zu sich zu finden, Selbstbewusstsein, Selbstachtung und Selbstfürsorge zu erlangen.
  • Neben allem vorgenannten arbeitet man konzeptionell. Das bedeutet, man schaut, was die Kinder brauchen, man überlegt, mit welchen Methoden man das erreichen kann. Also als erstes eine Analyse und dann ein Plan. Der soll „SMART“ sein:

    S: spezifischfür das Kind oder die Gruppe und seine/ihre Situation.

    M: messbar. Das bedeutet, man überlegt sich, woran man bemerken kann, dass die Methoden greifen. Es werden erst kleine Dinge sein, später mehr und man beobachtet, ob es so auftreten wird. An welchen Indikatoren will ich beurteilen, ob der eingeschlagene Weg richtig oder unpassend ist?

    A: attraktiv. Es sollen Methoden sein, di wenig Widerstand hervorrufen, im besten Fall Freude bereiten.

    R: realistisch. Was erreichbar ist, entscheidet sich nicht nur durch das Kind und sein Befinden, auch durch die Fähigkeiten, Ressourcen und sozialen Bedingungen, die in Betracht gezogen werden müssen.

    T: terminiert. Bis wann will ich das Ziel, bis wann Zwischenschritte sehen (gemessen an den Indikatoren)?

    Alles das ist in wenigen Tagen nicht zu leisten. Eine längerfristige Zusammenarbeit wäre toll, da viel Potential bei Happy Caravan vorhanden ist. Dafür war es ein guter Beginn.