Corona-Pandemie – viele werden traumatisiert

von 28.05.2020Nachrichten

Das 21. Jahrhundert begann mit dem Flugzeugangriff auf die Twin towers in New York und auf das Pentagon in Washington. Das hat uns erschüttert, aber es war dennoch weit weg jenseits des Atlantik und als dann Deutschland am Hindukusch verteidigt wurde, war auch das weit entfernt.

Es hat uns in Europa als Gesellschaft nicht wirklich getroffen, wenngleich es für Einzelne (z.B. Soldaten) sehr anders war. Ich habe in meinem persönlichen Leben keine Einschränkungen erfahren.

Als sieben Jahre später die große Finanzkrise kam, betraf es zwar irgendwie alle Länder. Aber im Leben der meisten einzelnen Menschen hat sich scheinbar nicht viel verändert.

Wieder sieben Jahre danach wurde die Not der Flüchtlinge allenthalben sichtbar. Instinktiv spürten viele Menschen, dass es die Konsequenz des Handelns und des Nichthandelns der reichen Länder im Mittleren und Nahen Osten und in Afrika war, die diese Not hervorgebracht hat. Dieses Jahr 2015 hat uns und unsere Gesellschaft verändert. Die Frage, wie sich der Einzelne positioniert, wie die Gesellschaft darauf reagiert, hat uns bewegt und wenn nicht, war es eine nicht leicht zu vollziehende Ignoranz.

Jetzt, fünf Jahre später, mitten in der immer deutlicher werdenden Klimakrise kommt Corona. Egal, wie richtig oder falsch die reale Gefahr ist, egal, wie richtig oder falsch die ergriffenen Maßnahmen sind. Sie betreffen jeden. Angst, Einsamkeit und Depression nehmen zu. Hinter Masken, im Homeoffice sind wir alleine, aber bei Gegendemonstrationen ohne Abstand und ohne Maske in Gruppen, die von Rechts, Links, ernsten Freiheitsengagierten, von verführerischen Verschwörungstheoretikern sind die Demonstranten plötzlich in Gesellschaft von sonst nicht tolerierten Menschen und es entstehen völlig neue Allianzen. Es stellt die Kraft von Familien mit Kindern ohne Ganztagsbetreuung neben dem Homeoffice umzugehen, in Frage, die Wirtschaft leidet, Kliniken leeren sich in Erwartung einer Überforderung und es werden lebenswichtige Operationen nicht mehr durchgeführt, Die Reisetätigkeit stoppt, nur Erntehelfer für den Spargel werden eingeflogen, von der Evakuierung von minderjährigen und unbegleiteten oder kranken Flüchtlingen wird Abstand genommen. Wurde bislang eine neue Armut in Kauf genommen, nur damit die Wirtschaft floriert, so wird jetzt die Wirtschaft heruntergefahren, um die Schwächsten (ausgenommen Flüchtlinge, auf die nun an der griechischen Grenze geschossen wird) zu schützen. Alles dreht sich um. Jetzt sind die Einschläge des 21. Jahrhunderts, die sich in konzentrischen Kreisen zusammengezogen haben, bei jedem Einzelnen angekommen.

Jedes Mal gab es Polarisierungen. Viele waren erschüttert nach 09/11, in anderen Ländern wurde gejubelt. Viele fanden es richtig, sich militärisch zu engagieren, viele nicht. Nach der Finanzkrise dachten wir, dass Wirtschaften so nicht weitergeht und wollten eine Korrektur. Stärkere Kräfte sorgten aber dafür, dass sich nichts änderte. Die „Flüchtlingskrise“ war auch eine „Willkommenskultur“. Das Wort „Gutmensch“ wurde zum Schimpfwort, das Gute wurde so von Manchen als verkehrt erlebt, es wuchsen nationalistische Kräfte, die Gesellschaft polarisierte sich, die humanistischen Impulse versandeten und die Menschen in Not, die vor Krieg, Hunger und Diktaturen fliehen mussten, ertrinken im Mittelmeer oder werden unter katastrophalen Bedingungen in überfüllten Camps belassen. Wenn man mehr Enttäuschung und damit einhergehende Radikalisierung haben möchte, behandelt man Menschen so, wie in Moria und anderen Camps. Und jetzt, in Coronazeiten, erleben wir Virologen, die den Shutdown empfehlen, andere Fachkollegen meinen, es reicht nicht, wieder andere halten ihn für unnötig und übertrieben. Man will sich an Wissenschaft halten und jeder wählt sich die Wissenschaftler, die das sagen, was man schon immer faktenfern und vorwissenschaftlich-ideologisch glaubte. Die Corona-Pandemie bringt bislang nur Unsicherheit hervor, aber plötzlich meinen Viele, es zu „wissen“. Freundschaften, Familien zerbrechen daran. Häusliche Gewalt nimmt zu, Egoismen werden wach, die Stimmung wird gereizter, für Ängste hat jeder einen Grund: vor Krankheit, vor Bevormundung, vor Jobverlust, vor Einsamkeit, vor Politik, vor Wissenschaft, vor Verschwörungen, vor Verschwörungstheorien und sogar vor dem Mangel an Toilettenpapier. Wonach soll man sich richten? Nach einzelnen Meinungen der zerstrittenen Wissenschaft, nach der Sorge um gefährdete Menschen, nach der Sorge um die Wirtschaft, nach einzelnen Parteien der zerstrittenen Politik, nach der Sorge um Kinder, nach der Sorge um Bildung, um Kultur, nach Freiheitsbestreben, ja wonach? Gruppen mit bisherigem Konsens polarisieren sich in dieser Frage: Mediziner, Virologen, Parteien, Fußballfans, Anthroposophen, Heilpraktiker, Familien, Paare.

Und in der Angst sucht man Halt. Dafür gibt es viele Bauchläden, in denen man sich beliebig bedienen kann, um mit dünnem Eis die Unsicherheit zu überdecken: wo nichts klar ist, glaubt man plötzlich zu „wissen“, wie es ist. Wie Dornröschen sich im Turmzimmer, im Oberstübchen, wo gesponnen wird, mit der Nadel verletzte, so fangen wir auch an, dass sich unsere Seele in unserem Oberstübchen verletzt.

Die Corona-Pandemie als solche erfüllt nicht den Tatbestand eines Traumas. Aber viele werden traumatisiert.

Da kommt es wieder auf die Basics an:

  • Sich seinen sicheren Ort schaffen:
    • Den äußeren sicheren Ort: das Zuhause, den Garten, den Wald, den Park, je nachdem, wo man sich äußerlich sicher fühlt, aufsuchen und die Sicherheit genießen, die man dort empfinden kann.
    • Den Leib als sicheren Ort pflegen: Gut für sich sorgen, sich gut ernähren, viel trinken, viel Vitamine, viel Bitterstoffe, sich viel bewegen.
    • Den inneren sicheren Ort besuchen: Meditieren, Phantasiereisen machen, sich mit Dingen beschäftigen, die einem wichtig sind, Lesen, Malen, Schreiben, an guten Erinnerungen arbeiten (sie aufschreiben, ein Fotobuch dazu gestalten….)
  • Rhythmus einhalten. Besonders wenn die von außen gesetzten Termine wegfallen, der Wecker nicht klingelt usw., dann dennoch eine Tagesstruktur aufrechterhalten, ca. alle 90 Minuten etwas anderes tun, einen Wechsel von Aktivität und Ruhe pflegen, regelmäßig essen, etwa zur selben Zeit ins Bett gehen.
  • Beziehungen pflegen, auch wenn wir uns nicht besuchen können. Wir können telefonieren oder, wie Früher Briefe schreiben.
  • Über die Ereignisse sprechen, aber dennoch bestimmen, wieviel Zeit man dem einräumen möchte (inklusive Nachrichtensendungen).
  • Aufmerksamkeit pflegen: Bewusstes Hinschauen auf die kleinen und schönen Dinge, bewusstes Hinhören auf die Geräusche, bewusstes Erleben des eigenen Körpers, achtsam sein im Umgang mit den Mitmenschen, besonders mit denen, deren Gesicht wir unter der Maske nicht sehen und die unser bezauberndes Lächeln unter unserer Maske nicht wahrnehmen können.
  • Besonders, wenn man plötzlich viel Leerlauf hat, kann man Dinge tun, zu denen man sonst nicht gekommen ist und die man sich immer für „nach der Schulzeit“, dann für „nach dem Studium“, dann „für den Ruhestand“ aufgehoben hat.

Denn nun geht es darum, wie die Zeit nach Corona sein wird. Die Pessimisten werden später jedes Haar in der Suppe finden und damit ihren Pessimismus bestätigt finden. Aber wie werden wir uns über Kontakte freuen, wenn sie wieder möglich sind, wie werden wir uns freuen können, wenn wir wieder die Gesichter sehen können, wieder reisen können. Nur wenn wir darauf hoffen, werden wir es als etwas wunderbares erleben können.

Corona stellt alles in Frage. Wir müssen uns diesen Fragen stellen: Was ist wichtig im Leben, wie wollen wir soziale Kontakte gestalten, was soll der Mittelpunkt meines Lebens sein, deren Mitarbeiter Sklaven sind, welchen Stellenwert hat Familie, wo will ich mich engagieren, werde ich weiter Fleisch von Schlachthöfen essen, welche Landwirtschaft fördere ich durch meinen Konsum welche Verantwortung übernehme ich im Umwelt- und Klimaschutz, wie positioniere ich mich nach Corona politisch usw.

Das geht nur aus einer inneren Ruhe heraus.

Die haben wir jetzt.

Nutzen wir sie!