Traumata und sexueller Missbrauch von Kindern

Eines der schlimmsten Traumata ist der sexuelle Missbrauch von Kindern. Die Polizei schätzt jährlich ca. 14.000 Fälle, meist im Alter zwischen 6 und 14 Jahren. Mädchen sind etwa drei- bis viermal häufiger von sexuellem Missbrauch betroffen als Jungen. Das Verhältnis weiblicher Täter zu männlichen soll Studien zufolge bei 1:9 liegen. Es sind erschreckende Zahlen, wie groß die Dunkelziffer ist, wissen wir nicht.

Für das Jahr 2017 verzeichnet die Polizei

  • 547 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch
  • 990 Fälle von Missbrauch an Jugendlichen
  • 403 Fälle von Missbrauch an minderjährigen Schutzbefohlenen
  • 512 Fälle von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung sogenannter Kinderpornografie und
  • 306 Fälle von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung sogenannter Jugendpornografie.

Diese Zahlen sind seit 2010 nahezu gleich geblieben. Da nur ein kleiner Teil der Taten angezeigt wird, werden viele Taten statistisch nicht erfasst und bleiben im Dunkelfeld.

Die Abfolge von 1.) emotionaler Vernachlässigung, 2.) emotionaler Missbrauch, 3.) körperliche Vernachlässigung, 4.) körperliche Misshandlung, 5.) sexueller Missbrauch, 6.) familiäre Inkonsistenz zeigt lauter gleitende Übergänge. Wenn die kleine Tochter mit dem Vater gemeinsam in der Badewanne sitzt, kann das etwas ganz Normales sein, steht aber bei sonstiger emotionaler Vernachlässigung, emotionalem Missbrauch und gelegentlichen Schlägen („eine Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet“) in einem ganz anderen Kontext und wird damit zu einem Übergriff. Sogenannte „dysfunktionale Sozialisationsaspekte“, also die oben beschriebene Kette, haben immer eine emotionale Vernachlässigung als Basis. Diese ist nicht laut, wie ein Unfall, eine Vergewaltigung oder der Suizid der Mutter. Wilfried Callenius (in der Zeitschrift „Trauma“ Heft 1 2019) nennt es das „Grundrauschen einer familiären Störung“. Dies allein, wenn es in der allerfrühesten Kindheit beginnt, kann schon traumatisierend sein und schwere Persönlichkeitsstörungen auslösen – nur wird das Trauma dabei nicht gesehen. Nur Manches, was sonst „normal“ ist, wirkt in diesem Kontext bereits deutlich übergriffig.

Diejenigen, die mit sexuellem Missbrauch in irgendeiner Form in Berührung kommen, sollen zwei Bücher empfohlen werden:

Das Buch von Mathias Wais und Jutta Gallé: „…der ganz alltägliche Missbrauch“ beschreibt, wie ein Missbrauch entstehen kann, wie und wo er beginnt. Sexueller Missbrauch ist dabei die Spitze eines Eisberges und die Zahl von 14.000 Fällen bedeutet, dass es wesentlich mehr Missbrauchsopfer gibt.

Von „tu es mir zuliebe“ bis zum eigentlichen Missbrauch beschreiben die Autoren einen gleitenden Übergang. Täter genießen oft das Vertrauen der Eltern oder des anderen Elternteiles, die es nie für möglich gehalten hätten, dass gerade dieser Mensch zum Täter wird! Darum wird den Kindern oft nicht geglaubt – in der Regel ist es erst der Fünfte Erwachsene, der der Erzählung des Kindes Glauben schenkt; und: oft werden nicht so viele Erwachsene gefragt!

Ein sehr anschaulicher Roman erzählt von einem Missbrauchsskandal in einem kleinen Ort, der tiefe Risse in die soziale Gemeinschaft der betroffenen Menschen reißt und Misstrauen und Zwietracht, Verdächtigungen und schwere Konflikte unter den Erwachsenen bewirkt.

Nur einem wird vertraut, der Leser identifiziert sich mit ihm – am Ende ist er der Täter. Das Lesen hinterlässt ein schmutziges Gefühl beim Leser. Ein harter Stoff, man fühlt sich schuldig, wenn man das Buch gelesen hat: also nichts für schwache Nerven, aber es ist eben unendlich wirklichkeitsnah beschrieben. Wer sich mit betroffenen Kindern oder Eltern auseinandersetzt in seinem beruflichen Alltag, sollte beide Bücher gelesen haben.

.. der ganz alltägliche Missbrauch: Aus der Arbeit mit Opfern, Tätern und Eltern

Mathias Wais (Author), Ingrid Gallé (Author)

ISBN-10: 978-3-867830-07-2

Feldmann und der Erzähler

Leonard W. Morrison

ISBN 978-3-932386-02-2