Interview mit Bernd Ruf

Gespräch mit Martin Straube

Bernd Ruf, einer unserer Gründungsmitglieder war im November zu einer ausführlichen Seminars-und Vortragsreise in Südamerika (Kolumbien und Chile). Bernd Ruf, einer unserer Gründungsmitglieder war im November zu einer ausführlichen Seminars-und Vortragsreise in Südamerika (Kolumbien und Chile).

In Cali und Medellín in Kolumbien und in Santiago de Chile waren es u.a. die Kriseninterventionsteams, die sich mit Notfall- und Traumaintervention beschäftigten, die ihn eingeladen hatten. In Medellín z.B. ging es um Schulen in Brennpunkten der Bandenkriminalität, mit kaum nachvollziehbaren Problemen von Kindern, für die Gewalt und Mord zum Alltag gehören. Hier greifen unsere einfachen Einteilungen von a) Anpassungsstörung, b) akutem Belastungssyndrom und c) PTBS, bzw. d) komplexem PTBS nicht, denn neben akuten Traumata herrschen in der Regel von Kindesbeinen an Gewalterfahrungen vor, Vernachlässigung und immer wieder erneuten Erlebnissen von Tod naher Freunde, Bandengewalt und -kriminalität, Erpressung und Instrumentalisierung. Es kommen neben transgenerativen Traumata sowohl Typ-1Traumata und Typ-2 Traumata zusammen, sehr komplexe Traumatisierungen liegen vor, wie wir sie in Europa so kaum je erleben.

Da die Kinder und Jugendlichen außer Gewaltanwendungen keine anderen Konfliktbewältigungsstrategien kennengelernt haben, gibt es für sie auch keine anderen Wege, als vom Opfer zum Täter zu werden. Als Täter wenden sie dann selber Gewalt an – die einen nach Außen, indem sie so kriminell werden, wie es diejenigen waren, die an ihnen zum Täter geworden sind, oder sie wenden die Gewalt nach Innen an und zerstören sich selber, entwickeln schwere psychiatrische Erkrankungen (Depressionen, Persönlichkeitsstörungen), schwere Psychosomatosen oder Suchtkrankheiten.

Ansatzweise, so Bernd Ruf, kenne er ähnliche Bilder aus Karlsruhe, dem Parzival-Schulzentrum, in dem Kinder und Jugendliche, die nirgendwo sonst mehr beschulbar sind, aufgenommen werden. Dort ist Bernd Mitbegründer und in der Schulleitung hauptberuflich tätig. Ferner kennt er es aus zahllosen Auslandseinsätzen, besonders aus Kriegsgebieten oder eben aus Städten wie Medellín, wo er nicht zum ersten Mal gewesen ist. Ohne diese Vorerfahrung wäre es auch vergebens, hier Fortbildungen anzubieten. Er nennt es „Intensivpädagogik“, eine Methode, die bislang schriftlich nicht publiziert wurde, außer in einem kleinen Beitrag zu dem Buch von Götz Kaschubowski und Thomas Maschke: „Anthroposophische Heilpädagogik in der Schule“, (Kohlhammer 2013, ISBN-???), den Bernd Ruf zusammen mit Melanie Reveriego vorgelegt hat.

 Das Interesse in Kolumbien ist gewachsen, seit durch das Friedensabkommen der Regierung mit der Rebellengruppe Farc vermehrt ehemalige Kindersoldaten in die Gesellschaft integriert werden müssen. Dazu wurde er dann auch spontan von einer Task-Force-Einheit des Innenministeriums eingeladen, die sich eben auf die Integration dieser Kindersoldaten vorbereitet. Hier handelt es sich um Probleme, wie wir sie in Europa noch nicht kennen. Ähnliche Sorgen entstehen in Chile, wohin viele Ex-Kindersoldaten fliehen und dort Banden bilden. Sie kennen nichts Anderes als töten, sie haben nie eine Schule besucht, kennen keine friedlichen Handlungsoptionen.

Die einzigen Integrationskonzepte, die es gibt, sind die der Stabilisierung, des sicheren Ortes, aber nicht nur des äußeren sicheren Ortes, sondern auch des Leibes, der eigenen Seele, der sozialen Gemeinschaft und des Persönlichkeitsmusters. Das ist ein langer Weg. Es ist das selbe Konzept, wie in der Traumapädagogik auch, nur mit wesentlich intensiveren Erfahrungen, Signalen und mit einem wesentlich längerem Atem.

Wirkliche andere, aus Erfahrung heraus gebildete Konzepte liegen bis heute nicht vor. Sie müssen entwickelt werden. Dazu werden Menschen gesucht, die über Erfahrungen in dieser Richtung verfügen. Diese Erfahrung u.a. sammeln wir im IINTP und danach werden wir, hier in Gestalt von Bernd Ruf, gefragt.

Solche Fortbildungen wollen wir überall anbieten. Denn ähnliche Gewalterfahrungen, die auch in Deutschland bei einigen Jugendlichen, wenn auch nicht immer in dieser massiven Intensität, gemacht werden, liegen ja vor. Sie werden sicherlich nicht weniger werden. Die Konzepte müssen mitwachsen. Und kaum irgendwo liegen solche Erfahrungen und solche Sichtweisen vor, Menschen mit dieser Art von Problemen zu verstehen, wie es die anthroposophische Menschenkunde bietet, wie in Einrichtungen, wie es das Parzival-Schulzentrum in Karlsruhe ist.

Bernd Ruf war vor fünf Jahren auch in Kali, Kolumbien. Dort wurde er zu Beratungen gebeten auf einer Klinikstation mit Brandopfern im Kindes- und Jugendalters. Das, was wir heute als Notfall- und Traumapädagogik kennen und im IINTP lehren, hatte er dort vorgestellt. Und auf der Station wurde es übernommen. Und: die Kinder, die an diesen Programmen teilgenommen haben, wurden schneller wieder gesund, als die, die es nicht gemacht haben. Es ist nachvollziehbar: Ein Trauma ist maximaler Stress. Stress verhindert Heilung. Je mehr der Stress abgebaut wird – und das ist u.a. das Ziel pädagogischer Krisenintervention – desto günstiger wirkt es sich auf den Heilungsverlauf aus. Viele waren skeptisch. Diese Skepsis ist verflogen, jetzt fängt die psychiatrische Abteilung auch damit an!

Notfall- und Traumapädagogik ist ein wirksames Konzept und ein gefragtes! Das ist es, was wir im IINTP lehren wollen!

 Am Ende fragte ich Bernd Ruf nach seinem Selbstschutz. Neben der Seminar- und Vortragsreise in Chile und Kolumbien ist er während unseres Gespräches auf den Philippinen, wo wir seit dem Hurrikan „Hayan“ ein Child friendly space unterhalten, er war in diesem Jahr ferner in Equador nach dem Erdbeben, in Kurdistan/Nordirak, auf vielen Tagungen, auch Vortragsreisen in vielen Teilen Europas. Wenn er nicht auf Reisen ist, hat er die ständige Konfrontation mit schweren Schicksalen im Parzival-Schulzentren mit bis zu 160 unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen. Er hat also kaum „traumafreie Zeit“ und ich wollte wissen, wie er sich selber vor Sekundärtraumatisierung schützt. Dieser Selbstschutz wird in unserer Weiterbildung eine wichtige Rolle spielen. Es gibt viele kurzfristige Möglichkeiten, die in der Notfallseelsorge und in der Kriseninterventionspsychologie gelehrt werden. Aber es gibt auch langfristige Konzepte, die mit Fachlichkeit zu tun haben, mit gewachsenen Fähigkeiten, die einen nicht passiv das Leid anderer erleben lassen – indem man hilft, tut man etwas, statt, wie bei einem Trauma, zu erstarren.

Bei Einsätzen ist es die Vor- und die Nachbereitung, die Kenntnis der konkreten Lebensbedingungen, es sind die Entspannungsmomente zwischendurch. Aber es sind auch die Vorträge. Um eine Erfahrung vor einem Fachpublikum vortragen zu können, muss sie bearbeitet werden. Dieser äußere „Zwang“, der mit vereinbarten Vortragsterminen entsteht, ist hilfreich. Im Vortrag verarbeitet man, wovon ja so viel abhängt. Etwas in Sprache zu bringen, mindert das sprichwörtliche „sprachlose Entsetzen“. Und: ohne Spiritualität geht gar nichts. Denn es geht nicht darum, wie man sich abschottet, sondern darum, wie man tragfähig wird für das Leid, das man wahrnimmt. Dabei hilft ihm die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners.

Martin Straube